Die Sibylle in der griechischen Mythologie
In der griechischen, später auch römischen Mythologie ist die Sibylle (σίβυλλα) eine Seherin, die im Gegensatz zu anderen Orakeln, unaufgefordert die Zukunft vorhersagt. Ihre Vorhersagen sind oft doppeldeutig oder kommen in Gestalt eines Rätsels. Sie lebte meist in einer Felshöhle, der sog. Sibyllengrotte. Heute noch kann man in Cumae bei Neapel eine eindrucksvolle Sibyllengrotte besichtigen. Die Sibylle von Cumae spielt auch eine Rolle in Vergils Aeneis, vor seinem Abstieg in die Unterwelt wurde sie von Aeneas befragt.
Eine bekannte Anekdote erzählt von der Begegnung des Tarquinius Superbus mit der Sibylle von Cumae. Sie bietet ihm ihre Prophezeiungen, die „Sibyllinischen Bücher“ für einen horrenden Preis an. Als er ablehnt, verbrennt sie erst drei, dann nochmal drei, und schließlich kauft der König die letzten drei Bücher für den ursprünglichen Preis.
Die Sibylle ist eigentlich ein imaginäres und altersloses Wesen, dessen Sein sich gewissermaßen außerhalb der Zeit abspielt, nicht gebunden an Zeit oder Ort. Dennoch manifestiert sie sich in prophetischen Schriften (deren Ursprung meist ungeklärt ist). Ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. wird die Figur der Sibylle so populär, dass sie sich vervielfältigt. So zählt Varro im 1. Jahrhundert schon 30 verschiedene Sibyllenfiguren und ordnet diese thematisch und geographisch, so dass zehn quasi offizielle Sibyllen entstehen. Wie verbreitet der Glauben an diese ist, zeigt sich beispielsweise daran, dass die Kirchenväter Irenäus und Origines ohne weiteres sibyllinische (und damit heidnische) Prophezeiungen in ihre Werke übernehmen, die von der Ankunft des Messias künden.
Abb
1: Die Delphische Sibylle
(Michelangelo, 1509, Deckenfresko,
Sixtinische Kapelle)
Last modified: Dec 13, 2007